Sawadee!
Das
ist lao und heißt Hallo! Für die vergangenen drei Tage hatte ich
schon vor einigen Wochen in Deutschland ein ganz besonderes Abenteuer
gebucht. Ich habe die „Gibbon Experience“ gemacht, nicht zu
verwechseln mit dem deutlich weniger spektakulären „Gibbon Flight“
in Chiang Mai. Es war für asiatische Verhältnisse sehr teuer, doch
es ist absolut einmalig und das Geld ist schließlich auch für einen
guten Zweck. Denn das Projekt hat aus ehemaligen Wilderern
Angestellte gemacht, die Touristen in den Regenwald begleiten und den
Menschen somit eine Chance geben, den Lebensraum von Gibbons und
diversen anderen wilden Tieren hautnah zu erleben. Zwischen den teils
sehr anspruchsvollen Trekks sind immer wieder sogenannte Ziplines
gespannt, also simple Metalldrähte die hunderte Meter über Täler
und Schluchten hinweg als Transportmittel dienen. Diese sind auch die
einzige Möglichkeit in die gigantischen Baumhäuser zu gelangen, in
denen man dann mitten im Urwald übernachtet. Es gibt die „Classic
Tour“ für Bequeme und die „Waterfall Tour“ für Irre, ich muss
wohl nicht erwähnen für welche ich mich entschieden habe ;-) Die
letzten Tage waren so ziemlich das Extremste was ich je erlebt habe
und ich werde versuchen es so authentisch wie möglich wiederzugeben.
Also machts euch bequem und besorgt euch nen Drink, das hier wird
wahrscheinlich der längste Blogeintrag von Allen.
Der
Wecker klingelt. Ohje, regnet es noch? Gestern Abend hatte es noch
ein wenig geregnet. Das müsste dann aber auch der eine
durchschnittliche Regentag für diese Region im November gewesen
sein! Mit flauem Gefühl im Magen schaue ich aus dem Fenster und
sehe, dass die Straße noch ein wenig feucht ist. An sich ist ein
bisschen Wasser von Oben ja nicht schlimm, aber im Regenwald ist das
laut diverser Reiseberichte etwas Anderes. Trampelpfade seien
plötzlich unpassierbare Schlammgruben und Blutegel ohne Ende gebe es
auch. Aber halb so wild, der Himmel ist schließlich knallblau. Ich
nehme meinen kleinen Rucksack und meine Wanderschuhe und besorge mit
bei Tom (Er heißt Tom, nicht Ham – Er kann nur nicht reden) die
zwei reservierten Sandwiches. Tom wirbt mit einem Pappschild „I
have everything for the gibbon!“, was genau vier Sachen sind: Dünne
Handschuhe fürs Zippen, Mosquitospray, Batterien für die
Taschenlampe und lange FC-Barcelona-Socken gegen die Blutegel. Ich
besorge mir die Handschuhe, da ich den Rest bereits habe und gehe zum
Büro des Projektes. Neun andere Abenteurer, davon vier Paare aus
allen Ecken der Welt treffen ebenfalls ein. Ich bin offensichtlich
der Jüngste hier. Nach einer Sicherheitseinweisung mittels Video
(wie jetzt, kein Lagerfeuer im Baumhaus?) setze ich mich in eines der
beiden mächtigen Allradfahrzeuge und es geht los in Richtung
Wildnis.
Ich
sitze auf der Rückbank neben Kate und Dave aus Melbourne und wir
unterhalten uns angeregt über alles Mögliche. Nach einer guten
halben Stunde Fahrt schießt mir plötzlichen ein schrecklicher
Gedanke durch den Kopf. Oh nein, bitte nicht. Das ist jetzt nicht
wahr. Ein kurzer Blick in meinen Fussraum und ich hatte Gewissheit.
Fuck! Fuck! FUCK!!! Ich Volldepp habe es doch tatsächlich geschafft
meine schweren Wanderschuhe inklusive Wandersocken um die halbe Welt
zu schleppen um sie dann, wenn ich sie am meisten brauche irgendwo im
Büro des Projektes stehen zu lassen. In der Aufregung und beim
Gespräch mit den Anderen hatte ich einfach wie gewohnt nur meinen
kleinen grünen Rucksack genommen. Ich erkläre mein Problem Dave und
Kate, aber die gucken mich nur entsetzt an. Ich tippe dem Laoten auf
dem Beifahrersitz auf die Schulter und versuche dort mein Glück. „Do
you speak english?“ -“no“ kam es synchron von ihm und dem
Fahrer. Ich halte ihm verzweifelt meine Flip Flops vor die Nase,
welche ich bis zum Beginn der Wanderung anhaben wollte und daher im
Moment trage. „No shoes!!!“. Er hält mitten auf der Straße an
und ein Laote von der Ladefläche kommt zu mir. Er erklärt mir, dass
er die Schuhe im Büro gesehen hat und dachte sie gehören Einem der
letzten Gruppe. Er würde dort anrufen, damit sie keiner klaut und
ich könne mir auf dem Weg dahin bei einem Rastplatz ein paar Schuhe
kaufen. Wir fahren weiter und mir ist ein wenig schlecht. Während
draußen die beeindruckende Landschaft an mir vorbeizieht sehe ich
mich vor meinem inneren Auge nur halb nackt durch den Urwald
kriechen. Was würde mich erwarten? Wir kommen schließlich am
besagten Rastplatz an: Eine kleine Holzhütte mitten im Nirgendwo,
doch in einem Regal stehen tatsächlich Schuhe. Ich frage das kleine
Kind an der Kasse, wie viel sie kosten, und es hält mir wie in Laos
üblich den immer gleichen Taschenrechner mit dem Betrag unter die
Nase. Umgerechnet knapp zwei Euro für billige Gummischuhe, das ist
in Ordnung. Ich räume zwei mal das Regal aus und wieder ein und
halte das größte verfügbare Paar in den Händen: Größe 41. Alles
klar, ich hab 45, das sind ja nur 4 Nummern Unterschied. Ich komme
sogar komplett in den Schuh rein, aber er biegt sich komplett durch
und Kletterschuhe fühlen sich dagegen wie bequeme Hausschlappen an.
Ich wende mich an den einen Laoten, der ein wenig Englisch kann und
zeige ihm mein Problem. Ich frage ihn, was zur Hölle ich denn jetzt
nur tun soll. Er überlegt kurz und grinst mich an: „Flip Flops.“
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Der Toyota quält sich bergab |
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Basislager |
Wir
verlassen plötzlich die Straße und fahren eine steile Böschung
hinab durch einen Fluss. Eine gute Stunde lang geht es durch das
Noch-mehr-Nirgendwo immer tiefer in das Reservat, und die Vegetation
wird immer üppiger. Wir passieren heruntergekommene Dörfer, die man
sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Hühner, Schweine und Kühe rennen
hektisch zur Seite, während der einäugige Dorfopi das befremdliche
Fahrzeug mustert. Die Strecke ist deutlich anspruchsvoller als die,
die ich im letzten Eintrag beschrieben habe. Das Fahrzeug kämpft
sich regelrecht nach vorne und wir werden ordentlich
durchgeschüttelt. Schließlich erreichen wir unser Basislager, das
letzte Dorf entlang des Pfades. Wir treffen die Rückkehrer der
vorherigen Tour, welche uns stolz ihre Blutegelwunden zeigen und von
großen Spinnen berichten. Ich zeige ihnen meine 100g leichten
Wanderschuhe mit Beachfeeling. „Ouh man, you cant do this“. Na
klasse. Was soll ich tun - Zurückkehren, vier Tage in Huay Xai
abschimmeln und mir mein Leben lang dafür in den Arsch beißen oder
vielleicht doch lieber auf Flip Flops ins Verderben rennen? Ich
entscheide mich für Letzteres und beginne mit blassem Gesicht meinen
Marsch in den Regenwald. Wir haben uns aufgeteilt und ich bin jetzt
mit Dave und Kate, sowie dem Holländer Rene und seiner
holländisch-iranischen Freundin Farnaz unterwegs. Zwei Laoten, mit
denen wir uns kaum verständigen können bilden Anfang und
Schlusslicht des Trupps. Bei den ersten Flussdurchquerungen, wo alle
Anderen die Schuhe ausziehen müssen, kann ich meine Unsicherheit
noch gut überspielen. „You took the wrong shoes, guys!“
Allerdings sind meine Flipflops ziemlich minderwertig und außerdem
so durchgelatscht, sodass der vordere Teil bei zu viel Druck (zum
Beispiel Strömung oder Schlamm) stets raus reißt und die Treter an
meinem Fußgelenk baumeln. Beim kurz darauf folgenden, extrem
schlammigen Abschnitt sind sie daher nicht mehr zu gebrauchen und ich
presse meine Füße in die Gussgummischuhe. Nach einigen Metern gebe
ichs auf und laufe barfuss weiter – Noch einen Kilometer in den
Schuhen und ich habe morgen zwei fette Entzündungen an den Zehen.
Also laufe ich barfuss durch fast knietiefen Schlamm und versuche
möglichst keine Löcher durch Äste und Steine zu bekommen, die sich
immer wieder darin verstecken. Jetzt eine Verletzung unterm Fuß, das
wärs noch. Uns kommen kleine Kinder auf Kühen entgegen, die meine
offensichtlich eigenartig wirkende Gangart bemerken und laut lachen.
„No problem“ sagt Rene, „the german support us, we support the
germans!“ Es geht immer tiefer in den Regenwald und ich laufe
barfuss oder in Flip Flops. Der Wald ist so dicht, dass vom
Tageslicht nur recht wenig zu uns durchkommt. Umgeben von zehn Meter
hohen Bambuspflanzen, die neben den gigantischen Bäumen aussehen wie
Rollrasen schnippe ich mir einen weiteren Egel von den blutigen,
schlammbeschmierten Füßen, während ein großer bunter
Schmetterling an mir vorbei fliegt. Es geht schlammige Treppen
bergauf und wieder bergab, wobei die Stufen entweder nur in den Berg
gehackt oder mit einer Latte fixiert wurden, wobei jedoch links und
rechts spitze Äste aus dem Boden ragen, an welchen diese fixiert
ist. Ab und zu rutsche ich aus, einmal möchte ich mich an einem
morschen Bambus festhalten, mit dem ich schließlich ein paar Meter
bergab flitze. Ich erinnere mich an den Bericht von einem Deutschen,
der sich hier ein Bein gebrochen hat und zwei Tage bis ins nächste
Krankenhaus gebraucht hat und bekomme das erste Mal seit sehr langer
Zeit richtige Angst. Der Kerl hatte Wanderschuhe.
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Päuschen am Wasserfall |
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"Spider-free zone" |
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Dave im Bambuswald |
Wir
erreichen einen kleinen See, wo wir eine Pause machen. In den See
fließt ein Wasserfall, daher heißt die Tour auch „Waterfall
Tour“. Bei der „Classic Tour“ wandert man lediglich zu
kleineren, nahegelegenen Baumhäusern und kann dort verweilen und
zippen. Ich versuche, soweit wie möglich den stufenartigen
Wasserfall hinauf zu klettern und genieße das kühle Nass. In Gänze
selbstlos opfere ich mich, um der ansehnlichen Iranerin beim
Vorankommen eine Hilfe zu sein.. Schließlich geht es weiter, wir
bekommen unser Klettergeschirr mit dem Zipper und erreichen wenig
später unsere erste Zipline. Einer der Laoten versucht, uns mit den
10 englischen Wörtern die er beherrscht zu erklären wie wir Zippen
müssen. „No brake no brake!“ -Alles klar. Ich hake den
Sicherungskarabiner und den Zipper ein, und stoße mich laut quiekend
von der provisorisch zusammengezimmerten Plattform ab. Es ist ein
unbeschreibliches Gefühl, in über 100 Metern Höhe über den
Regenwald zu fliegen. Ich ignoriere den fetten Brandfleck an meinem
Arm, den ich bekomme als ich an einer Baumspitze leicht hängen
bleibe und bei voller Fahrt das Seil berühre. Das Adrenalin
vertreibt den Schmerz, die Aussicht ist grandios und der Flug ist
auch nach zehn oder zwanzig Zips jedes Mal einfach nur geil. Am
späten Nachmittag erreichen wir schließlich die Zipline, die in
unser Baumhaus für die erste der beiden Nächte führt. Diese
Baumhäuser in bis zu 70 Metern Höhe sind individuell und gemütlich
gebaut und haben bis zu 3 „Etagen“. Wir hatten eine Falltür im
Boden, von wo aus man die Dusche mit Blick über den Regenwald
erreichen konnte. Ich errichte mit typisch deutscher Akribie meine
„Spider-free zone“, indem ich eines der Stoffzelte aufhänge und
sämtliche Ritzen und Fugen verschliesse. Mein durchgeschwitztes
T-Shirt stopft ein großes Loch in der Ecke und eine zweite Matratze
bedeckt den löchrigen Boden. Möge die Nacht kommen!
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Dusche in 70m Höhe mit Blick über den Regenwald |
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Dinner in the dark |
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Irgendeiner der haarigen Gäste |
Ich
säubere und verarzte meine Füße, bevor wir uns für eine weitere
Runde Zippen bereit machen. Die Laoten sind längst verschwunden,
aber angeblich soll es bis 18:30 Uhr hell sein. Wir machen uns auf
den Weg und irren schließlich durch den Dschungel, da es einfach
keine Karte von dem Gebiet gibt und auf den wenigen Holzschildern nur
Hieroglyphen zu sehen sind. Bereits um 17:30 ist es so dunkel, das
ich kaum noch den Boden erkennen kann. Klar geht die Sonne erst
später unter, aber durch all die Vegetation kommt einfach kaum
Licht. Ich habe glücklicherweise eine Taschenlampe eingesteckt und
nach kurzem, aber überflüssigen Marsch zippen wir wieder in unser
Baumhaus (TH6). Auf dem kniehohen Tisch steht unser Abendessen –
Reis mit Gemüse, jummi! Wir essen im Dunkeln, während ich am Dach
des Baumhauses das erste mal Spinnen sah, die größer als in
Deutschland sind. Jede Menge braune, bis zu 10cm fette Brummer mit
dicken Beinen schauen mir dabei zu, wie ich nach übermäßigem
Konsum des Pilzgerichtes ein wenig würgen muss. Die Laoten pflücken
anscheinend alles, was nicht ausdrücklich giftig ist – Geschmack
ist Nebensache. Wir trinken komischen Reiswein und Beerlao bei
spärlichem Licht aus einer Solarlampe und haben lange, gute
Gespräche. Ich habe echt eine nette Truppe erwischt. Gegen 10 wollen
wir ins Bett gehen und ich leuchte noch einmal die Decke ab, um ein
oder zwei Fotos von einer der vielen netten Spinnen zu machen, deren
Augen mich auf dem Kameradisplay anleuchten. Ich zucke und lasse vor
Schreck fast die Kamera fallen. Ganz oben an der Decke, in der Mitte
vom Baumhaus hängt ein absolutes Mordsvieh. Deutlich größer als
die Anderen, bestimmt 15cm, mit schwarz glänzendem, fetten Unterleib
und merkwürdigen Borsten. Holy shit. Ich zeige meinen Fund Farnaz,
die gerade nebene mir stand und sie rennt panisch zu ihrem Freund.
Dabei hat sie das Vieh erst gar nicht erkannt, weil sie
offensichtlich nach etwas kleinerem Braunem gesucht hatte und dachte
„Huge Hugo“ sei ein Stück vom Dach. Ich verzichte aufs
Zähneputzen in der tieferen Etage und krieche in mein Stoffzelt.
Erneut suche ich Alles nach Dingen ab, die mehr als zwei Beine haben.
Ich nehme das Spannbetttuch und ein Handtuch als Decke und versuche
zu schlafen. Es beunruhigt mich ein wenig, das die Laoten einfach
verschwunden sind, da wir nicht wissen wo wir sind und es im Urwald
natürlich auch kein Netz gibt. Außer dem von Hugo. Die
Geräuschkulisse des Dschungels ist einfach umwerfend. Pervers laute
Insekten übertönen die meisten Vögel, und ab und zu hört man
wieder etwas Neues. Ein halbes Stündchen später fühlten sich ein
paar andere Tiere durch Dunkelheit und Stille eingeladen, uns zu
besuchen: Ratten. Keine zwei Meter von meinem Kopf entfernt machen
sie sich mit lautem Getöse über unsere Essensreste her. Man kann
nicht durch das Stoffzelt schauen, aber die Geräusche lassen nicht
auf kleine, süße Mäuschen schließen. Ich höre einen der Hocker
umfallen und beginne damit, meine „Spider-free zone“ zu einer
„Rat-free zone“ zu upgraden. Entschuldigt die Anglizismen, ich
bin in Laos, ich darf das! Ich stelle also alle Dinge, die ich dabei
habe auf das Ende des Stoffzeltes, um bei möglichem Kontakt ein
Minimum an Widerstand zu bieten. Es wird ein wenig ruhiger, doch man
hört es immernoch ab und zu quieken, Vögel landen im Baumhaus und
irgendetwas tippelt über den Holzboden. Verdammt, ich muss aufs Klo.
Was soll ich tun? Bis morgen früh durchhalten – unmöglich. Raus
aus dem Stoffzelt, um fernab der Zivilisation, ohne die Möglichkeit
eines Hilferufs neben Mörderspinnen und Urwaldratten durchs Baumhaus
zu klettern – nie im Leben. Ich pinkelte in meinen Gussgummischuh
Größe 41 und legte mich schlafen.
Der
Wecker klingelt. Kackding. An meinem Beinen ist die übelste
Stichception, etwa 20 neue Mosquito(?)stiche bedecken die Haut
abwärts der Knie. Mir machen uns auf zu einem kleinen Hike vor dem
Frühstück. Nur die größten Bäume stechen aus dem dichtem Nebel
hervor, der dem Dschungel eine unvergleichliche Atmosphäre gibt. An
einer Wasserstelle wollte ich den Hahn zudrehen, hab dadurch aber
irgendwie die Duschfunktion aktiviert, wie Farnaz hinter mir
unfreiwillig feststellen muss. Jetzt hat sie ein nasses T-Shirt, es
gibt Schlimmeres. Wir hatten uns alle auf Reis mit Gemüse gefreut
und wurden nicht enttäuscht. Einer der Laoten wühlt in meinen
Sachen rum, tut so als ob er mit meinem Handy telefoniert und
schnappt sich meine Kamera, um uns beim Essen zu filmen. Egal. Wir
machen uns auf, um zu unserem nächsten Baumhaus zu wandern. Die
Wanderung mit Flip Flops ist hart und meine Beine zittern vor
Erschöpfung, da ich permanent den vorderen Teil vom Fuß belasten
muss. Glücklicherweise hat es nicht geregnet, denn dann wäre ich
jetzt „one hundred percent fucked, maaan“, um es mit den Worten
des sympathischen Holländers zu sagen. An einer Stelle höre ich
merkwürdige Geräusche und finde einen Ast, an dem sich tausende
Termiten zu schaffen machen. Krasse Viecher. Nach geschätzten
fünfeinhalb Ewigkeiten erreichen wir endlich eine der beiden
Ziplines, die in unser zweites Baumhaus führen. TH5 ist einfach nur
„fucking amazing“. Der „Outzip“ ist in Bodenhöhe, man muss
sich auf eine Stufe setzen und fällt erst ein bis zwei Meter, bevor
es nach vorne geht. Im Dach des Baumhauses befindet sich eine
„rooftop sweet“, welche von Dave und Kate beschlagnahmt wird. Sie
werden es später noch bereuen, wenn sie der Spinne begegnen, die
aussieht wie eine Kakerlake mit Fangzähnen und acht Beinen.
Freudenschreie hallen durch den Dschungel, als wir unser sehnlichst
erwartetetes Abendessen - Reis mit Gemüse – über die Zipline
geschickt bekommen. Der Abend verläuft ähnlich wie der erste, nur
dass wir deutlich mehr Bier (ein Einheimischer verkaufte welches am
Wegesrand) getrunken haben und lange Zeit „500“ spielen, eine Art
australische Variante von Skat für mehrere Leute. Beim Öffnen der
Bierflaschen mit meinem Buschmesser schossen die Kronkorken mit
enormer Kraft an die Decke. Mit dem guten Gefühl, womöglich einen
Verwandten von Hugo erschossen zu haben legte ich mich schlafen.
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Zip in das zweite Baumhaus |
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Mit spektakulärem Bungee-Outzip |
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Baum, Don, Ich |
Der
Wecker klingelt. 5:42 Uhr – Zeit fürs animal-watching. Oh shit, es
regnet. In der Ferne ist Donnergrollen zu hören. Fuuuck! Wir laufen
ein knappes Stünchen durch den Regenwald, sehen aber keine Tiere.
Trotzdem ist es der Dschungel früh morgens in magisches Licht
getaucht und wir können Gibbonaffen singen hören. Bei der letzten,
mir unbekannten Zipline sagt der Laote „no brake, no brake!“. Die
Anderen zippen vor mir, und ich spüre am Drahtseil das sie sich am
Schluss ein gutes Stück ziehen müssen. Da ich immer ein wenig
flotter unterwegs war als die Anderen hoffe ich, ohne Ziehen das Ende
zu erreichen. Da schneidet sich immer so der Gurt in den Rücken...
Ich stoße mich also mit den total zerlegten Flip Flops von der
Plattform ab, lege mich aerodynamisch in den Wind und ziehe mich
selbst am Zipper etwas hoch. Das Ziel kommt näher und es hat den
Anschein, als würde ich es schaffen. Jap, ich schaffe es. Oh, ich
sollte vielleicht sogar bremsen. Fuuuck! Ich bremse mit aller Kraft
auf den letzten Metern, knalle aber dennoch am Ende mit den Füßen
voran in den Baum. Der Laote schaut mich an wie ein Auto. Unter
meinem rechten großen Zeh hat sich auf mehreren Zentimetern die
dicke Hornhaut vom Fleisch gelöst. Ich humpel zurück in Richtung
Baumhaus und muss auf dem Weg noch einen kleinen Blutegel aus meiner
frischen Wunde ziehen. Glücklicherweise hat er sich noch nicht
festgebissen. Im Baumhaus kommen mal wieder Antiseptikum, Kompressen
und diverse Cremes zum Einsatz. Beim Frühstück schüttet es
wie aus Eimern und wir bereiten uns auf den Marsch zum Basislager
vor. Ich ahne bereits, dass es ein harter Weg werden wird. Ich
schenke meine Kloschuhe einem netten Laoten, der sich wahnsinnig
darüber freut und bastel mir aus meinen Flip Flops und Schnürsenkeln
ein Paar provisorische Sandalen. Ich verknote alles so, dass die Flip
Flops nicht mehr auseinander reissen können und ich mehr Halt habe.
Die schmerzende Wunde packe ich in einen Verband und ziehe mein
eines, dreckiges Paar weißer flacher Socken darüber, bevor ich in
meine „Sandalen“ schlüpfe. Jacke an, Hut auf, möge der Spass
beginnen. Der Laote deutet in den Regen. „no good fiep fop!“
Danke für die Info. „left or right?“ fragt Kate. „Läpp!“
Alles klar.
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Am dritten Tage auferstanden |
Der
Hike zum Basislager ist schlichtweg pervers. Ich laufe mit offenem
Fuß in Flipflops durch den verregneten Urwald, auf Wegen wo meine
Gruppe mit dicken Wanderschuhen schon oft ausrutscht und hinfällt.
Plötzlich bin ich dankbar für jedes Parkourtraining der letzten
Monate, welches mir zu mehr Körperkontrolle und Koordination
verholfen hat – hier habe ich es wirklich gebraucht. Ich nutze
jeden Ast, den ich bekomme für zusätzlichen Halt und überlege mir
jeden Schritt zweimal. Fast falle ich den Abhang hinunter, da sich
ein aus den Augenwinkeln vermeindlicher Bambus als komischer,
stacheliger Baum entpuppt. Ein gigantischer Tausendfüßler liegt
eingerollt auf dem Weg, und wir laufen unter einem großen
Spinnennetz durch, in dessen Mitte der Besitzer thront. Teilweise
laufe ich auf allen Vieren, da ich ansonsten unweigerlich stürzen
würde. Über Stock und Stein Stamm und Fels geht es steil bergab
durch dichten Bambuswald. Auf den letzten Metern vor dem Basislager
war es extrem schlammig, und ein netter Laote stützte mich während
ich meine zerkratzten Beine über rutschige Baumstämme manövrierte.
Das klingt alles sehr negativ, doch ich bin sehr froh eine derartige
Grenzerfahrung gemacht zu haben, bei der ich an meine Grenzen kam wie
nie zuvor. Schmerz und Erschöpfung wurden regelrecht in
motivierenden Zorn und Willenskraft umgewandelt, und man fühlt sich
ein wenig wie Frodo, der gerade Mount Doom besteigt um überflüssigen
Goldschmuck zu entsorgen. Im Basislager angekommen war ich überglücklich und genoss nach einem
lauten Jubelschrei mein unerwartet schmackhaftes Reisegericht,
während mir zig Hundewelpen zwischen den Beinen rumwuselten um
fehlgeleitete Reiskörner zu eliminieren.
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Die gesamte Truppe |
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Unser Shuttle ins Nichts |
Ein
letztes Highlight der Expedition war die Rückfahrt. Ich saß auf der
Rückbank des Toyotas, der sich den matschigen Pfad mit seinen
metertiefen Rillen hoch quälte. Zwei Hände reichten nicht aus um
sich so festzuhalten, dass man nicht über die gesamte Ladefläche
gewürfelt wurde. Eine knochige alte Frau stieg dazu, und die
riesigen Bohnen aus ihrer Tüte flogen uns um die Ohren. Ich holte
mir noch ein paar blaue Flecken zusätzlich ab, da ich unbedingt ein
Stückchen der Fahrt filmen wollte und in der Zeit nur eine Hand zum
festhalten hatte. Auf der Landstraße überholten wir waghalsig LKW,
die in Schrittgeschwindigkeit den Berg hoch keuchten, umfuhren auf
der Straße schlafende Hunde und hatten eine Vollbremsung, als vor
uns eine Kuh auf die Straße rannte. Zurück in Huay Xai nahm ich
eben schließlich meine blitzsauberen, auf meiner Reise bisher
ungenutzten Wanderschuhe in Empfang und holte mir erstmal eine
Grillplatte mit Pommes und Cola für knapp 6 Euro, während ich mit
Kate und Dave Fotos austauschte. Wir wollen uns in Australien wieder
treffen – mal sehen. Ich brachte meine Wäsche zur Laundry (ein
kleiner Junge spielte den Dolmetscher – Respekt!) und sitze seitdem
im billigsten Zimmer des Dorfes für weniger als 4 Euro und schreibe
diesen monströsen Reisebericht. Die Gibbon Experience kann ich
eingeschränkt empfehlen. Das Zipping, die Baumhäuser und der
Dschungel an sich sind einfach der Wahnsinn. Ein paar Wanderschuhe
können jedoch durchaus von Vorteil sein. Wer übermäßige Angst vor
Spinnen und Co oder Höhenangst hat, oder auf „Achtung, Inhalt
könnte heiß sein!“-Schilder auf Kaffeebechern angewiesen ist
sollte aber vielleicht lieber zuhause bleiben. Morgen treffe ich
meine neue Straygruppe, und in zwei oder drei Tagen werde ich in
Luang Prabang erneut aussteigen um mich ein wenig zu erholen.
Phôp
khan mai,
Florian
Hallo mein Hasi-Mausi-Knuspi! Ich hoffe, deinem Fuß geht es wieder besser! Ich, als "caution hot" - leser und um-alles-kümmern-woller hatte beim Lesen zwar heftige Phantomschmerzen, bin aber auch von deinem Schreiben so begeistert, dass ich bis zum Ende durchgehalten habe. Nico und ich lesen deine Einträge ganz fleißig, wobei regelmäßig Streit ausbricht, weil Nico mir unbedingt was erzählen will, was er liest, wo ich noch gar nicht bin. Das ist wie vor dem Kinobesuch das Ende zu wissen^^ Mach weiter so! Wir sind bei dir!! Lena
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