9. November 2013

Zwiebeln, Zwiebeln, Zwiebeln


Haset Gonn!

Da saß ich also mal wieder in meinem Auto und hatte keine Ahnung, wie es weiter gehen sollte. Ein tolles Gefühl! Nein, das ist zur Abwechslung mal nicht ironisch gemeint. Ich beschloss, zunächst das Wochenende abzuwarten, da sowohl David als auch Lyn ja meinten, mir wahrscheinlich einen Job vermitteln zu können. Generell muss man wissen, dass Absprachen, Termine und Versprechen mit und von Australiern mit Vorsicht zu genießen sind. Natürlich war alles nur leere Luft, und am Dienstag war endgültig klar, dass ich wieder auf mich alleine gestellt bin. David hat jedoch freundlicherweise mit einigen Farmern in der Region telefoniert und meine Arbeit angepriesen. Ich bin wirklich froh, damals den Abstecher auf die Manberry Station gewagt zu haben. Vor Allem im Vergleich mit anderen Geschichten, die man von Reisenden so hört war das ein echter Glücksgriff.

Süden, Osten oder Norden? Um die Frage vorab zu beantworten: Gar nichts davon. Und nein, ich bin nicht noch weiter gen Westen auf eine einsame Insel im indischen Ozean gereist. Ludwig wurde auf dem Weg nach Carnarvon wieder ein wenig wärmer als sonst, und auch Davids Rückkehr verschob sich nach hinten. Ich muss mich noch mit ihm treffen, um Papierkram zu erledigen. Auch könnte ich zur Not immer noch für ein paar Wochen auf die Station, um die Tage „specified work“ für mein Visum vollzukriegen. Alles in Allem beschloss ich also, zunächst in Carnarvon zu bleiben und für mindestens 3 Wochen Arbeit zu finden. Im Anschluss wollte ich dann ganz gemütlich weiterreisen und unterwegs nochmal Ausschau nach einem lukrativen Job für 1-2 Monate halten.

Damn, wieder keine Eier...
Als ich morgens früh um 9 auf dem bekannten Campingplatz aus meinem Auto kroch, stieg mir ein beißender Geruch in die Nase. Eine Mischung aus altem Müll und totem Frettchen. Ach du Kacke, was ist hier denn passiert? Ich durchsuchte das ganze Auto und konnte es irgendwann auf die linke Seite des Wagens eingrenzen. Sollte ich etwa die verlorene Bratwurst finden? Irgendwie hatte ich letzte Woche 6 gebraten und nur 5 gegessen. Geschlagene 10 Minuten suchte ich alles ab, bis der Verdacht auf meine leicht undichte Schiebetür fiel. Der Gestank kam tatsächlich immer mit einem kleinen Windstoß. Die Auflösung: Es waren zwei Franzosen, die ein paar Meter neben mir ihre Sachen ausbreiteten. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie man so derbe stinken kann. So schnell wie möglich packte ich meine Sachen und machte ich mich auf den Weg. Ich fuhr zum „harvest trail“, der Straße in Carnarvon, wo sich eine Farm an die Andere reiht. Hier wollte ich einfach die Farmen abklappern und stumpf nach Arbeit fragen. Offenbar war ich aber nicht der Erste – an fast jeder Einfahrt sah man dicke Schilder, die den Zutritt verboten oder direkt darauf hinwiesen, dass es keine Arbeit gibt. Oder beides. Oder beides in doppelter Ausführung. Das ganze war auf den ersten Blick sehr frustrierend. Allerdings machte mich die Tatsache stutzig, dass Farmen generell immer mal wieder Arbeitskräfte brauchen, die Schilder oftmals jedoch fest installiert und ein paar Jahre alt waren. Das ergab irgendwie keinen Sinn. „Dreist gewinnt“ stimmt in in Australien ohnehin, also suchte ich mir die größten, eindeutigsten Schilder aus um mein Glück zu versuchen. „striclty no entry without permission – NO WORK“ - klingt gut!

Am Ende des Tages hatte ich zwar keinen Job, aber viel erlebt. Ich habe mich auf einer Auffahrt im Kies festgefahren, interessante Gespräche geführt („Amber Merkel is like Hitler but with a pen!“), wurde von aggressiven Hunden vom Hof gejagt und habe einen Deutschen getroffen, der sich vom Freund seiner Geliebten versteckt hat. Die Schilder sind oftmals nur Abschreckung, da zu viel Staub die Pflanzen tötet. Bei der unbefugten Zufahrt würden die Leute generell langsamer fahren. Aha, gut zu wissen – Jobs gebe es im Moment jedoch trotzdem nicht. Ich erfuhr, dass die Zwiebelernte vor der Tür steht und fuhr dem Geruch nach die Farmen ab. Die eine große Bananenfarm, die auch Zwiebeln anbaut hätte aber schon etwa 300 Namen auf der Liste. Alles klar, Lebenslauf trotzdem abgegeben und weiter gings. Auf dem Rückweg zum Campingplatz bog ich noch in eine unscheinbare Auffahrt ab. Lediglich ein kleines Schild „409“ war zu sehen. Ich fand einen dicken kleinen, unendlich haarigen Kerl zwischen den Weinreben. Er ignorierte mich zunächst und lief stumpf an mir vorbei. „Job?“ schnauzte er mich plötzlich von der Seite an. Er sagte, der Job sei total simpel, bloß Löcher buddeln, aber die letzten 3 Leute hätten nach einer Stunde aufgegeben. Ich könnte ja um 7 vorbeikommen. Meine Frage nach der Bezahlung beantwortete er nur mit einem dreckigen Lachen. Was für eine Gestalt. Bauernopfer gibts offenbar nicht nur beim Schach.

Abends ließ ich mir die ganze Sache dann nochmal durch den Kopf gehen. Australische Landmenschen sind manchmal ein wenig komisch, und vielleicht muss man ihnen eine Chance geben. Ich stellte meinen Wecker auf 6 Uhr und fuhr am nächsten Morgen wieder zur Farm Nummer 409. Anstelle einer Begrüßung bekam ich einen Bohrstab in die Hand gedrückt. Löcher für die Hauptpfosten der Weinreben mussten gebuddelt werden. Auf Nachfrage erfuhr ich immerhin seinen Namen: Oscar. Und wehe ich grabe die Löcher nicht tief genug, die Leute vor mir hätten alle geschummelt! Es war wohl der anstrengendste Tag meines Lebens. 40 Grabungen später durfte ich die Löcher noch mit großen Holzpfosten bestücken. Das alles in der prallen australischen Sonne - um 1 Uhr mittags war total am Ende. Aber stolz wie Oscar, so lange durchgehalten zu haben. Am nächsten Morgen um 7 ging der Spaß weiter. Oscar aus der Tonne fuhr seine haarige Wampe schließlich zu meinem Feld, um meine Arbeit zu begutachten. Leider habe ich kein Bild von ihm. Oh oh, jetzt kommt die Oscarverleihung. Er brummelte vor sich hin und nörgelte irgendetwas von wegen schlampiger Arbeit und zu kleinen Löchern. Ich erklärte ihm, dass ich alle Löcher bis zur Markierung gegraben habe und beim Bestücken mit den Pfosten wahrscheinlich Erde nachrutscht. Nein, kann nicht sein... Visum hin oder her, will ich wirklich 3 Wochen alleine bei diesem Mistkäfer Löcher buddeln und mich anmaulen lassen? Der intelligente Leser erkennt, es handelt sich um eine rhetorische Frage. Ich besorgte mir einen fairen Gehaltscheck und die Unterschrift fürs Visum von seiner ebenfalls recht eigenartigen Frau und fuhr vom Hof.


Auf dem Rückweg hatte ich eine neue Nachricht auf der Mailbox, irgendetwas von Zwiebeln, mehr habe ich nicht verstanden. Ich folgt erneut dem penetranten Geruch und eine Stunde später saß ich in einem Gabelstapler und fuhr Zwiebeln durch die Gegend. Eine weitere Stunde später fuhr ich einen übertrieben großen Traktor mit Gabelstapleraufbau über öffentliche Straßen. Führerschein? Lizenzen? Die Farmer kannten lediglich meinen Namen. Am nächsten Tag hieß es Zwiebeln ernten. In sogenannten Roads sind jeweils 6 Reihen Zwiebeln. Man dreht sie heraus, schneidet die Wurzeln und Sprösse ab und legt sie in einen Korb. Etwa 20 Körbe passen in einen Bin, für den man 50 Dollar bekommt. Die meisten Pflücker kommen auf 10-15 Dollar Stundenlohn – kein wirklich guter Deal, aber immer noch besser als Birnen pflücken in Shepparton. Die Arbeit ist außerdem auf Dauer sehr anstrengend, die Finger versuchen sich gegenseitig mit Blasen zu übertrumpfen. Alles riecht nach Zwiebeln. Glücklicherweise bin ich nicht zum Zwiebeln pflücken dort. Nein, ich habe diesmal richtig Glück gehabt. Der Tag war eine Ausnahme – ich bin beim Farmer direkt angestellt, und zwar als Traktorfahrer!

Einen Tag nur Zwiebeln, Fliegen und Ich
Morgens um 4 geht der Wecker. Mit dem ersten Tageslicht um 5 Uhr steige ich das fahrende Metallkonstrukt und mache mich auf den Weg zum Feld. Traktor fahren an sich ist nicht schwer, wenn man sich erst einmal an die 16 Gänge gewöhnt hat. Knifflig ist jedoch die Bedienung der Gabel, da diese sich oft hinter dem Motorblock verbirgt. Vor allem das Stapeln von vollen Bins in schwierigem Gelände ist dabei nichts für schwache Nerven. Zusammen mit Stefano, dem Traktorfahrer einer anderen Farm bin ich für die etwa 30 Erntehelfer zuständig. Eine Hälfte davon sind Backpacker aus allen Ecken der Welt, die andere Hälfte sind dunkelhäutige Menschen von ärmeren Inselregionen um Fiji und Vanuatu, die Geld für ihre Familien zuhause verdienen. Ich fahre den Traktor oft nur wenige Zentimeter zwischen den Arbeitern und Bins durch die Reihen, während die Pflücker ihre Körbe ausleeren. Uralte Bins fallen teilweise auseinander, Bienenkästen stehen im Weg und der Farmhund legt es generell darauf an, überfahren zu werden. Die ganze Sache „Trecker fahren“ ist in diesem Fall wirklich nicht so einfach und eintönig, wie es sich zunächst anhört. Immer wieder gibt es knifflige Situationen und extrem enge Passagen. Man sollte stets hellwach sein, wenn man 1500 Kilo Zwiebeln, die einem die Sicht versperren über holprige Feldwege zwischen den Arbeitern von A nach B chauffiert. Meine Aufgabe ist dabei auch Kontrolle und Koordination der Arbeiter und Buchführung. Es muss schließlich fair bleiben und am Ende des Tages muss die Liste stimmen. Unfassbar, wie viele Zwiebeln so ein Feld hergibt. Die gesamte Farm steht mittlerweile voll mit Zwiebeln, groß und klein, weiß und rot. Etwa 100 Tonnen Zwiebeln warten darauf, dass die Sortieranlage vor unserer Cottage endlich richtig funktioniert.

uuups...
Jeden Tag fahre ich mindestens 10 Stunden Traktor und es wird nicht langweilig. Der perfekte Job, da ich bei 20 Dollar Stundenlohn auch noch jede Menge Geld an die Seite legen kann. Bis jetzt haben sogar alle überlebt! Nur ein Este musste mit einen Spinnenbiss ins Krankenhaus. Er hatte sich für die Mittagspause mitten in die Bananenplantage gesetzt. Auch umgekippt ist mir bisher nur einmal ein Stapel leerer Bins – keine große Sache. Stefano hat gestern jedoch 2 volle Bins gecrasht, die offenbar nicht richtig gestapelt waren. Er ist ausgerastet, wie ich noch nie einen Menschen ausrasten gesehen habe. Zu zweit brauchten wir eine halbe Stunde, die knappe Tonne Zwiebeln wieder in die Bins zu schaufeln. Mit Radio und Klimaanlage den Traktor durch die Gegend hustlen und die Zwiebelernte koordinieren – es gibt wirklich schlimmere Jobs. Jeden Tag muss ich mir neidische Kommentare und Sprüche anhören. Abwarten, ob das ganze wirklich 6 Wochen so weiter geht. So lange soll die Zwiebelernte nämlich andauern, aber hier ändert jeder mindestens zwei mal täglich seine Meinung. Sollte die Situation so bleiben werde ich aber auf jeden Fall bis zum Ende bleiben, denn besser hätte ich es kaum erwischen können!

TRECKER FAAAAAHN
Heute ist das erste mal keine Arbeit, da die Westküste von einer Hitzewelle heimgesucht wird. 37° im Schatten klingt nicht sooo extrem, aber ihr müsstet euch mal hier draußen vor unserer Cottage in die Sonne stellen. Länger als zwei Minuten hält das keiner durch! Cottage? Ja, ich wohne mittlerweile mit 5 Pflückern in einem Schuppen direkt auf der Farm. 3 Deutsche um die 30 und zwei jüngere Franzosen leisten mir jeden Tag Gesellschaft. Eine tolle Truppe, da habe ich echt mal wieder Glück gehabt! Hinter den Farmen soll es ein ziemlich geniales Partyleben geben, wenn mal keine Arbeit ist, da sich dann immer alle an einer der Cottages treffen. Ich bin mal gespannt! So, ich werde mir jetzt zum Mittagessen ein wenig Fleisch braten. Mit frischen Zwiebeln.

Amelie, Chris, Susi, Thorsten, Thomas

Have a good one!