Kalte Luft zieht durch das offene
Fahrerfenster. Ich müsste anhalten um es zu schließen, da die
Scheibe mal wieder in die Tür gefallen ist. Keine Lust anzuhalten.
Ich ärgere mich, dass ich dieselbe Straße erst gestern gefahren bin
– in entgegengesetzter Richtung. Schon wieder eine Tankladung
weniger im Budget. Vor vier Tagen war ich alleine aus Broome
aufgebrochen. Im Rückspiegel glüht mal wieder ein Sonnenuntergang,
der es in Deutschland auf jede Titelseite schaffen würde. Ich
schieße schnell ein Foto und fahre weiter. Es ist schon irgendwie
Gewohnheit, dass der Himmel Abends in allen Farben regelrecht glüht.
Was mache ich, wenn ich wieder nach Deutschland komme? Fotos von der
grauen Suppe? Meine Gedanken wandern in die Heimat. Dort ist es grade
erst Mittags, und meine Trierer Freunde sind gemeinsam auf einem
Festival. Irgendwie wäre ich in diesem Moment auch lieber dort. Denn
abgesehen von der Musik, die grenzwertig laut aus meinen Boxen dröhnt
hat mein momentanes Leben nichts mehr mit dem Leben in der Heimat
gemeinsam. Ein beängstigendes Gefühl, es würde so bleiben. Dabei
ist es genau dass, wofür ich hierher gekommen bin – in ein anderes
Leben eintauchen. Meine Laune bessert sich. Im Groben und Ganzen
läuft doch alles so, wie ich es mir vorgestellt habe – Rückschläge
gehören halt auch dazu. Und Ungewissheit als solches war auch stets
ein gewollter Teil meines praktisch nicht vorhandenen Plans. Ich
schließe mein Fenster und fahre weiter in die Dunkelheit.
Broome nachts alleine zu verlassen war
eine gänzlich neue Erfahrung für mich. Was eine wahnsinnige
Atmosphäre, allein und ohne konkreten Plan oder Ziel auf den
endlosen Fernstraßen Australiens in die Nacht zu fahren. Meine Augen
suchten im schwachen Scheinwerferlicht nach Schildern, die auf eine
Übernachtungsmöglichkeit hindeuten. Ich muss aufpassen, jetzt wo
der Wagen nicht mehr zugelassen ist. Bei einer Strafe für Schlafen
im Auto, was in dieser Region durchaus oft vorkommt würde ich
wahrscheinlich auffliegen. Dann wäre ich obdachlos und immobil
irgendwo am Ende der Welt. Ich erreiche eine kleine Parkbucht und
halte an. Soll ich hier Schlafen oder bis zu einem anständigen
Rastplatz weiter fahren? Ein gigantisches Känguru nimmt mir die
Entscheidung ab, indem es munter vor mein Auto hoppelt. Was für ein
Brummer! Autofahren in Australien bei Nacht sollte man vermeiden. Ich
stellte Ludwig hinter einen Busch und versuchte lange Zeit erfolglos
zu schlafen.
Raststätte im Nichts |
Am nächsten Tag fuhr ich weiter gen
Süden. Ich sah eine Dirtroad von der Straße abbiegen, der ich
spontan folgte und erreichte eine Melonenfarm. Im Moment gebe es
keine Arbeit, aber nur 800km weiter im Norden sei eine weitere Farm,
da könne ich ja mal fragen. Dankeschön. Auch das Sandfire Roadhouse
suchte kein Personal – Jobs hier werden üblicherweise von
Agenturen vermittelt. Tank voll, Tür zu, weiter geht’s. Der
Tourguide (der, der Bäume sprengt...) hatte mir den Rastplatz „De
Grey River“ empfohlen, der wirklich sehr schön war. Kleine
Parkbuchten tummelten sich unter schneeweißen Bäumen an einem
idyllischen Flusslauf. Ich traf einen netten Franzosen namens Cyril,
der dort sein kleines Zelt aufgeschlagen hatte. Er reist per Anhalter
durchs Land – eine Zukunft, die mir auch noch widerfahren könnte.
Wir machten gemeinsam mit noch zwei deutschen Mädels ein großes
Feuer und ich vernichtete gekonnt den verbliebenen Rum.
toll, oder? |
Vorgestern erreichte ich schließlich
Port Hedland. Dieser Ort ist anscheinend die größte Baustelle auf
dem Globus. Schutthalden, Kräne und Zäune reihen sich aneinander.
Wo üblicherweise Bäume stehen sollten gibt es hier nur rotweiße
Hütchen. Fast jedes Fahrzeug, was mir entgegen kommt ist entweder
50m lang oder hat spezielle Aufkleber, Fahnen und Warnlichter:
Minenfahrzeuge. Perfekt, dachte ich mir. Wo gibt’s Jobs, wenn nicht
hier? Erz fließt durch Port Hedland wie Blut durch Andern. Täglich
verlassen gigantische Containerschiffe einen der vier ebenfalls
gigantischen Häfen, das Ziel heißt meistens China. Alles ist von
einer roten Staubschicht überzogen.
Ich besuchte das örtliche
Besucherzentrum. Australien stellt in jedes Kaff ein Besucherzentrum,
welches mit nahen Attraktionen lockt – auch wenn es eigentlich
keine Attraktionen gibt. Ich ließ mir eine Liste mit Jobagenturen
geben und machte mich auf den Weg in die Bücherei, um meinen
Lebenslauf aufzupäppeln. „Closed“ oder „close“, da gibt es
beim westaustralischen Genuschel übrigens keinen Unterschied. Die
Unfreundlichkeit der Menschen schlug auf meine Laune. In der Bücherei
war man eher daran interessiert hässliche Papproboter
auszuschneiden, als dass man Kunden begrüßt oder gar bedient.
Französische Backpacker waren etwa so kommunikativ wie ein Glas
Himbeerjoghurt. Ich ließ mich nicht unterkriegen und quatschte
einfach Jeden an, den ich traf – die beste Möglichkeit einen
Überblick über die Jobsituation und Übernachtungsmöglichkeiten zu
bekommen. Irgendwie fühlte ich mich wie eine Ameise, die sich in
einen Termitenbau verirrt hat.
Abends freundete ich mich mit einem Italiener
an. Natürlich hieß er Mario, jeder Italiener heißt Mario.
Eigentlich ist auch jeder Italiener Pizzabäcker, aber Mario wartet
seit einem Monat vergeblich auf einen Job. Er schläft in seinem
Auto, ist aber in ständigem Kontakt mit der Polizei. Es gibt keine
Budgetunterkünfte in Port Hedland – das ehemalige Hostel ist
geschlossen und der billigste Stellplatz ohne Strom kostet satte 35
Dollar pro Nacht. Campingplätze zählen aber nicht als permanente
Unterkunft, welche die meisten Arbeitgeber hier voraussetzen. Macht
aber nichts, da es im Moment ohnehin keine Jobs gibt – im September
gibt es in Australien einen Regierungswechsel und die großen Firmen
warten ab, da ihre Zukunft ungewiss ist.
Ich entschied mich dazu, weiter nach
Karratha zu reisen. Um diese Stadt machen eigentlich alle Reisende
einen großen Bogen, da südlich von Port Hedland der Karijini
Nationalpark lockt und die eine befestigte Straße wieder an die
attraktive Westküste führt. Weniger Reisende, weniger Konkurrenz.
Außerdem gäbe es in Karratha weitaus mehr kleinere Unternehmen und
-ganz wichtig- ein Hostel, welches laut Lonely Planet 25 Dollar pro
Nacht kostet.
Bevor ich Port Hedland verließ hielt
ich noch an einer Brücke, von wo aus man Züge beobachten kann.
Güterzüge beobachten – klingt nach einer typisch australischen
„Attraktion“. Allerdings hat es mir dort wirklich die Sprache
verschlagen: Als ein Güterzug sich langsam näherte ging auf die
Aussichtsplattform, um die Waggons zu zählen. Angeblich fahren hier
die längsten Züge der Welt entlang. Ich hätte mal lieber Wasser
mitnehmen sollen! Der Zug war nicht wirklich schnell und lang. Sehr
lang. In Zahlen ausgedrückt: 2 Loks zogen 239 Waggons. Wie ein
Zugvogel habe ich aus zugiger Höhe dem Spektakel beigewohnt
zugeschaut. Es gab keinen Aufzug, nur einen steilen Zugang, um
nochmals Bezug zu großem Zug und Zugbrücke zugleich zu geben. Kein
feiner Zug von mir, euch Zugriff auf so viele Zugwortspiele zu geben.
Zugegeben, ich versuche seit langer Zeit sie mir abzugewöhnen, aber
der Zug ist wohl abgefahren. Sie sind einfach zu gut. Jaja ok...
In Karratha ging die Arbeitssuche
weiter. Die Jobsituation war ein wenig besser, aber noch immer
schlecht. Das Hostel existierte auch tatsächlich noch, war jedoch
extrem hässlich und wollte 50 Dollar pro Nacht für ein simples
Bett. 50 Dollar, das ist selbst für australische Verhältnisse
verrückt. Das sind mehr als 1000 Dollar im Monat für einen Service,
den ich eigentlich nicht brauche. Wenn ich mich dennoch niederlasse
und mir hier – an diesem Ort – das Geld ausgeht, habe ich ein
echtes Problem. Hinzu kam, dass das Wochenende vor der Tür stand.
Ich erwischte nur eine Jobagentur, die noch offen hatte. Verdammt,
daran hätte ich denken müssen. Aber „on the road“ ist einfach
jeder Wochentag gleich!
Die nächsten unproblematischen
Übernachtungsmöglichkeiten lagen je zwei Stunden in nördlicher und
südlicher Richtung der Stadt. Ich fuhr an den Highway und stellte
mich an den Straßenrand. Scheiße, so war dass nicht geplant. Die
Sonne ging bereits unter. Ich musste mich entscheiden – Norden oder
Süden? Eine Vielzahl von Faktoren schwirrte in meinem Kopf herum.
Ich entschied mich schließlich für Norden. Die Straße, von der ich
erst am Vortag gekommen bin. Der Hauptgrund: Man kann einfach nicht
gen Süden reisen, ohne den Karijini Nationalpark zu besuchen, der
als einer der Schönsten des Kontinents gilt. Ich würde es mir ewig
vorwerfen!
Kalte Luft weht durch das
Fahrerfenster...
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