31. März 2013

Melbourne Grand Prix

Hehagoämät!?

Das ist australisch und heißt auf dem Land soviel wie „Hallo!“, abgeleitet von „Hey, how are you going, mate?“, auf das hier aber nicht wirklich jemand eine Antwort erwartet. Wo war ich? Ach ja, Hallo! Wie bereits angekündigt folgt hier ein kleiner Eintrag zu meinem Besuch bei der Formel Eins! Schon vor zwei Monaten hatte Johannes, der die Rennen seit Jahren leidenschaftlich verfolgt, uns ein paar Frühbucher-Studententickets gesichert. Für nur 55 Dollar hatten wir am Donnerstag und Sonntag Zutritt zum Gelände – das wäre in Deutschland um Einiges teurer gewesen. Am Donnerstag, an dem noch keine Rennen waren, konnten wir sogar Daniel und Tom mit rein schleusen.

Der Repco Brabham BT19
Es war bestes Wetter, in Melbourne hatte es seit Wochen nicht geregnet. Es war ja auch der heißeste Jahresanfang seit Beginn der Aufzeichnungen. Das Drumherum ist einfach gewaltig. Der Albert Park als Austragungsort ist recht zentrumsnah und innerhalb weniger Minuten mit der Tram erreichbar. Da er mehr oder weniger mitten in einem Wohngebiet liegt und nur einmal jährlich als Rennstrecke fungiert, steht zu dieser Zeit das ganze Viertel auf dem Kopf. Öffentliche Straßen werden zur Rennstrecke, Zäune und Tribünen sprießen aus dem Boden. Bei einem Spaziergang durch die Innenstadt Melbournes hört man die Boliden über die Strecke heizen. Zum Auftakt der Saison als 60-jähriges Jubiläum hat man anscheinend sämtliche historischen Fahrzeuge des Kontinents nach Melbourne gekarrt – zahllose Ferraris, Porsches und deren Freunde standen überall auf dem Gelände herum. Natürlich gab es auch neue Fahrzeuge zu bestaunen, da den Herstellern der virale Effekt bei den enormen Besuchermassen ja auch nicht fremd ist. Wir verzichteten auf eine kalte Dose Bier für 8 Dollar, versuchten uns am Rennsimulator in einem begehbaren Riesenhelm und suchten uns den perfekten Platz für das Rennen am Sonntag. 



So verstaut man Baguettes
Schließlich war der Tag gekommen, auf den Johannes schon so lange gewartet hatte. Wenn Australien zur Sprache kam, als wir damals gemeinsam an unserer Bachelorthesis saßen, hatte er schon immer automatisch die Formel Eins im Sinn. Am Vortag hatte es zum ersten Mal seit langem wieder geregnet – aber dafür richtig. Somit konnten wir am Sonntag morgen sogar noch das Qualifying mit ansehen, was aufgrund der Witterung am Samstag abgesagt worden war. Bevor es dann aber zum Formel Eins -Rennen kam, waren erst einmal die Anderen an der Reihe. Historische Fahrzeuge fuhren in einer Kolonne über den Parkour und diverse kurze Rennen fanden statt. Serien-Mazdas fuhren ohne Rücksicht auf Verluste und pervers laute Fehlzündungen der V8-Supercars spülten uns den Schmalz aus den Ohren. Sammy und Sarah, die ich bei meiner Stray-Tour in Thailand kennengelernt hatte, gesellten sich zu uns.
Die einzige Frau im Carrera Cup
Nach dem Porsche Carrera Cup folgte schließlich die Ultimate Speed Comparison, bei der zeitversetzt ein Serienwagen, ein V8 Supercar und ein Formel Eins Wagen gegeneinander antreten und bei Vollendung der Runde nahezu gleichzeitig über die Ziellinie fahren. Zwar nicht wirklich als Rennen geltend war dies doch sehr beeindruckend, da man direkt veranschaulicht bekam, wie schnell so ein Formel Eins Wagen doch tatsächlich ist. Nachdem der SL63AMG startete vergingen 17 Sekunden, bis der V8 Holden mit seinen 600 PS startete. David Coulthard hätte anschließend noch locker aufs Klo gehen können, und kam dennoch knapp vor den beiden Anderen über die Ziellinie geschossen. Wahnsinn! Man konnte am ohrenbetäubenden Gebrüll des Motors erkennen, wo auf der Strecke sich der F1 Wagen gerade bewegte. Als er schließlich an uns vorbei schrie wurden überall nach ein paar verstörten, ungläubigen Blicken die Ohrstöpsel aus der Tasche gekramt, die man anscheinend nicht ganz grundlos beim Betreten des Geländes in die Hand gedrückt bekam. Ich nutzte dafür meine Kopfhörer und stellte mein Handyradio auf die Frequenz des F1 Funks ein.

Unsere Sicht auf die Strecke
Da Crowd

Bevor das Rennen begann kam nochmal die Kunstflugstaffel, die wir bereits am Donnerstag bestaunt hatten und legte ein paar beeindruckende Tricks hin. Wirklich überragend war aber der anschließende Schauflug eines Düsenjets – enge Kurven fliegen, langsam Gleiten, in der Luft stehen und schließlich mit einem irren Senkrechtstart wieder verschwinden – warum auch nicht. Die Boeing im Anschluss versuchte dies zu imitieren, scheiterte aber kläglich und flog beleidigt wieder davon. Da ist wohl jemand zu dick! Gegen 17 Uhr Ortszeit begann schließlich das Rennen, und wider erwarten blieb es trocken. Wir sahen ein paar Überholmanöver in unserer Kurve, wo Formel Eins Fags dem australischen Piloten Mark Webber bei jedem Passieren zujubelten. Mark for Prime Minister!


Am Ende gewann dann Räikkönen vor Alonso und Vettel, was mich allerdings nicht wirklich interessierte. Auch wenn man kein großer F1-Fan ist kann ich einen einmaligen Besuch durchaus empfehlen – zumindest zum australischen Preis. Wer das Wortspiel findet darf es behalten! Das ganze Drumherum, die Atmosphäre und Aktionen sollte man einfach mal gesehen haben. Nach dem Rennen stürmten wir zusammen mit Tausenden Anderen die Rennstrecke. Überall lagen Gummifetzen der Formel Eins Boliden. Zum Abschluss sahen wir noch eine Show des weltbekannten Nitro Circus. Bereits am Donnerstag hatten wir dort ein paar Motocrossmaschinen durch die Luft fliegen sehen. Die blieben aufgrund des Windes leider im Zelt stehen, doch die weltbesten BMX-Fahrer, ein Skateboarder, Inliner, Kickboarder und sogar ein Snowboarder zeigten ein paar wirklich spektakuläre Tricks.


Nach einem kurzen Rundgang über das Gelände machten wir uns schließlich wieder auf den Weg nach Altona – nach Hause. Mittlerweile wohnen wir dort nicht mehr am See, aber das erzähle ich euch alles im nächsten Eintrag, in dem ich euch von meinen neuen Jobs, dem alltäglichen Leben hier und meinen weiteren Plänen berichten werde. Grütze mit Sauerkraut,

Flo

Sicht auf Melbourne von der Rennstrecke

25. März 2013

Doof im Wald

Hallo ihr Lieben!

Ja, ich lebe noch und nein, ich habe mein Gehirn nicht im Wald verloren, auch wenn der Posttitel das vermuten lassen könnte. Als wir Donnerstag Nachmittag die Arbeit beendeten und klar war, dass bis zur nächsten Woche keine Trauben mehr reif werden, beschlossen wir übers Wochenende wieder nach Altona zu fahren. Ich gesellte mich noch kurz zu Conan David und ein paar Mädels, die von irgendeinem „Doof“ sprachen. Ich wurde neugierig und es stellte sich heraus, dass es dabei um einen inoffiziellen Rave mitten im tiefsten Busch ging. Wahnsinn, so einem Event wollte ich schon immer mal beiwohnen! Am Samstag Nachmittag bekam ich schließlich von David eine SMS, wo der Doof stattfinden soll. Lerderderg State Park, O'Briens Crossing. Sollen wir da wirklich hinfahren? Wir hatten keinen Schimmer was uns dort erwartet. Ein kleines Grüppchen mit einem Ghettoblaster? Wir entschieden uns dafür, die etwa zwei Stunden Autofahrt in Kauf zu nehmen und düsten los.

Als Kolonne verließen wir den urbanen Raum und fanden uns recht schnell in karger Umgebung wieder, die zudem immer hügeliger wurde. Mir war vorher klar, dass Burgundi kein großer Fan von Steigungen ist, aber offensichtlich verschlimmerte sich das Gebrechen. Der Motor wurde zu heiß und ich krebste teilweise mit 50km/h über den Highway. Sorry Jungs! Irgendwann bogen wir schließlich auf eine unbefestigte Straße ab, die in den Nationalpark führte. Ich schaltete Allrad hinzu und heißte freudig jauchzend dem T3 hinterher immer tiefer in den Wald hinein. Vielleicht hätte ich ein wenig mehr Abstand halten sollen, denn wenige Minuten später hatte Burgundi ihren Namen nicht mehr verdient – der Wagen war komplett zugestaubt. Wir erreichten schließlich das angegebene Ziel und stiegen aus. Musik war nicht zu hören, nur vereinzelt sah man ein paar Lagerfeuer. Allerdings standen wir neben einem Auto, welches „TECHNO“ als Kennzeichen hatte. In Australien kann man sich gegen Entgelt so ziemlich Alles auf sein Kennzeichen machen was man möchte, so lange es einmalig ist. Wir gingen ein wenig herum und quatschten das nächstbeste Grüppchen Leute an. Eine Party würde es hier nicht geben, nur ein paar Camper und Lagerfeuer. Ironischerweise gehörte aber einem Mädel aus der Gruppe das Auto mit besagtem Kennzeichen. Na klasse, was nun? War Davids Info zum Doof vielleicht doch falsch?

Zurück bei den Autos trafen wir einen Van mit Leuten, die auch nach dem Doof suchten. Wir entschieden uns, zusammen über den Fluss noch tiefer in den Wald hinein zu fahren. Ein Kurve später hielt uns ein Typ an, der aussah wie Hagrid aus Harry Potter. „I'll try to find it for you! Just gettin ma machine.“ Damit meinte er sein Rennmotorrad, mit dem er anschließend im Schneckentempo vor uns her gurkte. Wir trafen noch einige Andere, die auf der Suche waren und fuhren schließlich mit einer anständigen Kolonne durch den Nationalpark. Was kann denn daran so schwer sein? Schließlich gibt es doch weit und breit nur diese eine, unbefestigte Straße. Leider gab es kein GPS oder Handyempfang. Von einem entgegen kommenden Autofahrer bekamen wir den Hinweis, wir müssten bei einem roten Tuch von der Straße abfahren und dem Pfad weiter folgen. Dort angekommen nahm ich eine kleine Abkürzung durch den Graben, wo Burgundi mit der Anhängerkupplung aufsetzte. Richtig so!

Die Straße, die dann folgte kann allenfalls als besserer Wanderweg bezeichnet werden. Steil bergab und ohne Wendemöglichkeit geht es über Schlaglöcher und Furchen immer tiefer in den Busch hinein. Und das Alles mitten im Nirgendwo mit unseren alten Karren – erst gestern hatten Daniel und Tom zwei ihrer Reifen getauscht, als sie dessen Drahtgeflecht an der Seite heraus gucken sahen. Ist das vielleicht doch nicht so schlau, was wir hier gerade tun? Der T3 hat ja auch schließlich nicht einmal Allrad. Aber jetzt ist es wohl so oder so zu spät. Die Anderen haben wohl den gleichen Gedanken und halten kurz an. Sie sagen irgendwas von wegen „zu riskant“ und „Irgendwie wieder hoch kommen“, doch ich höre nur mit einem Ohr hin. „Jungs, hört doch mal!“ Wub.. Wub.. Wub.. Leise aber deutlich kroch Bass den Berg hinauf. Was für eine Atmosphäre, mitten im Nichts auf einer kaum befahrbaren Straße im Wald zu stehen und in der Ferne das lang gesuchte Ziel hören zu können. Wir sind richtig!

Mein Platz für die Nacht
Einige Minuten später sind wir schließlich im Tal. Buntes Licht und harte Goa-Beats sind allgegenwärtig – die Atmosphäre ist überwältigend. Etwa 20 Autos stehen wild verteilt irgendwo im Busch herum, wo gerade Platz war. Als Schlusslicht der Kolonne habe ich echte Probleme, noch einen Stellplatz zu finden. Einfach auf dem Weg stehen bleiben? Nach kurzer Inspektion des Bodens entscheide ich mich schließlich dazu, im Low-4WD-Modus mit Vollgas zwischen zwei Bäumen die Böschung hoch zu fahren. Zack, passt. Jetzt stehe ich zwar 30-40° am Hang, aber bei dem Lärm kann man wahrscheinlich sowieso nicht schlafen. 

Die Lounge
Wub Wub Wub Wub. Was haben die da eigentlich für eine übertriebene Anlage in den Busch gekarrt? Die Musik ist außerdem viel besser als erwartet – richtig anständige Beats. Ich steige aus und begrüße das Grüppchen neben mir, was ich durch meine zugestaubte Scheibe zuvor kaum erkannt habe. Neben einigen gewöhnlich gekleideten Menschen sind hier auch das 100-Prozent-Hippie-Outfit oder ein Bärenkostüm ganz normal. Aufgeschlossene, freundliche Menschen überall – dagegen ist Rock am Ring ein Zeltlager für Politessen. Luisa schaut auf den Weg und wirft mir einen skeptischen Blick zu. „Hier kommen wir nie wieder raus.“ Um zur eigentlichen Party zu kommen musste man noch durch ein Flussbett und einen kleinen Hügel hochlaufen. In einem bunt beleuchteten Pavillon ist das DJ-Pult untergebracht und eine Gruppe von Leuten ist davor am Tanzen. Andere sitzen an einem der Lagerfeuer oder haben es sich in der provisorischen Lounge gemütlich gemacht. Ein Franzose mit Rastalocken verteilt exotische Gewürze an jeden, der danach fragt mit einem beherzten Griff in seine Gürteltasche. Sogar Wasser und Kaffee gibt es einige Meter weiter. Mitten im australischen Busch zwischen den Eukalyptusbäumen - Was für ein toller Ort, um eine Party zu feiern. Die fesselnde Atmosphäre tat ihr übriges und wir hatten eine unvergessliche Nacht, von der es Gott sei Dank leider nicht sehr viele Fotos gibt.


Am nächsten Morgen waren wir uns einig, die Idee mit dem Doof war gar nicht so doof. Wir frühstückten gesammelte Reste am Lagerfeuer und schauten uns um. Der überwältigende Sternenhimmel der Nacht war der knallen Sonne gewichen, was das verbliebene Partyvolk jedoch nicht davon abhielt munter weiter zu tanzen, bis um 12 Uhr die Musik abgestellt wurde. Ich wollte Valesca aus Deutschland mit nach Melbourne nehmen, da ihre Reisegruppe über Nacht verschwunden war. Einer aus der Truppe kam nachts noch an mein Auto, öffnete die Motorhaube und verschwand anschließend wieder. Gruselig! Offenbar hat er aber nichts dort angestellt, was ich natürlich eingehend überprüft habe, bevor ich meinen Motor startete. Ganz normales Feiern eben. 


Die Wolke dort oben ist der T3
Ich bin einfach zu heiß
Ein Einheimischer bat für 10 Dollar an, Autos mit seinem mächtigen 4WD wieder auf die Gravel Main Road zu ziehen. Nix da! Wir wollten es erst einmal so probieren. Kalle und Burgundi kamen dank Allrad problemlos den Berg wieder hinauf, doch der unbenannte T3 hatte hart zu kämpfen. Staub und Steine flogen durch die Luft und wir waren froh, diesmal ein wenig Abstand gehalten zu haben. Und tatsächlich – Heckantrieb und Bodenfreiheit sei Dank schaffte Johannes es gerade so, ihr Zuhause wieder die Straße hinauf zu bringen. Seitdem heißt der Bulli Sir Henry. Zurück auf dem Highway wurde mein Wagen mal wieder zu heiß – dass Problem wurde immer schlimmer. Offenbar gibt meine Wasserpumpe langsam aber sicher den Geist auf. Nach einer Runde Maumau unter einer Highwaybrücke beschlossen wir, den dampfenden und zischenden Motor zu schonen und das letzte Stück nach Altona abzuschleppen. Die Aktion war nicht ganz ungefährlich, da das 4 Dollar teure Baumarktseil recht elastisch war und ich keinerlei Bremswirkung hatte. Zudem wird der Standstreifen beim australischen Highway bei einer Brücke oder Ähnlichem gerne mal unterbrochen, sodass man sich abschnittsweise die Fahrspur mit den mächtigen Roadtrains teilen muss. Glücklicherweise ging alles gut. Der Tag war jedoch übertrieben chaotisch – später am Nachmittag lief mein Wagen wieder und ich musste Sir Henry ans Abschleppseil nehmen, weil er nach leer gefahrenem Tank nicht wieder starten wollte. Was ein irres Wochenende!

So, das Alles ist nun schon wieder drei Wochen her! Sorry, dass ich solange nichts von mir hören lassen habe (Die Beschwerden kamen an!), doch im Moment habe ich tatsächlich alle Hände voll zu tun, denn ich habe zwei neue Jobs – mehr dazu in den nächsten Tagen! In der vergangenen Woche hat mir zusätzlich noch eine Magendarm-Grippe zu schaffen gemacht, die aber mittlerweile überwunden ist. Außerdem werde ich euch noch von der Formel 1 berichten, die ich am letzten Wochenende besucht habe. Besten Gruß aus dem mittlerweile kälter werdenden Melbourne,

Florian

8. März 2013

Weingedanken

Früh morgens gehts auf die Felder
Ich stehe auf dem Anhänger eines Traktors, der sich langsam den Berg hinauf arbeitet. Von der erbarmungslosen Mittagssonne abgewandt fällt mein Blick auf meinen Schatten, der am Gras des unebenen Weges entlang tanzt. Neben mir steht David aus England und stopft sich wie besessen Weintrauben aus dem großen, weißen Bottich hinter uns in den Mund. Unsere Schatten sehen ein wenig aus wie Cowboys, wobei mein Lederhut mit Davids wirrem Haar konkurriert. Nick, der Traktorfahrer erreicht den Schotterweg und beschleunigt. Staub weht mir in das schweißnasse Gesicht und dringt in jede Pore meines Shirts. Es wird nie wieder sauber werden, weshalb ich es auch morgen wieder anziehen werde – vorausgesetzt morgen gibt es Arbeit. Das ist der einzige wirkliche Nachteil an dem Job. Jeden Tag wird der Zuckergehalt der Trauben gemessen, und irgendwann müssen ganz spontan ausgewählte Rebreihen abgeerntet werden. Je nachdem, welche der 17 verschiedenen weißen und roten Traubenarten betroffen sind müssen dabei verschiedene Dinge beachtet werden. Trauben mit Vogelschaden oder im Umfeld zu weniger Blätter, kleine Trübe oder gar Faule werden abgeschnitten und auf den Boden geworfen; der Rest kommt in den Eimer. Je nach Stimmungslage der Trauben gibt es auch mal mehrtägige Pausen oder morgens früh kommt eine Sms mit „no work today“. Dann müssen wir wieder die Zeit in Lilydale totschlagen. 

Ein Foto von mir bei der Arbeit!?

Heute aber meinte es der Traubengott gut mit uns, denn ich sehe aus dem Augenwinkel wie der zweite Traktor einige Meter entfernt weitere Rebreihen vom schützenden Netz befreit. Über einen großen Greifarm wird das Netz bei der Fahrt über den Traktor hinweg auf eine hölzerne Rolle auf dem Anhänger gewickelt. Nick hat die Heckklappe unseres Traktors geöffnet, da seine Klimaanlage defekt ist. Er lehnt sich zu uns hinaus und zeigt auf das große Gefährt. Letztes Jahr hat er den gefahren, erzählt er uns. Eines Tages hatte er eine Brown Snake im Netz gehabt, die dann direkt über seinem Kopf hing. Ein Spezialist musste kommen. Er lacht und konzentriert sich wieder auf das Fahren. Komisch, eigentlich sind Schlangen eher selten in dieser Gegend. Viel Zeit zum darüber nachzudenken bleibt mir jedoch nicht, da wir unser vorläufiges Ziel erreichen: Zwei erntewillige Rebreihen, die nur so danach schreien mit leeren Eimern ausgestattet zu werden. 


David und Ich springen vom Anhänger und laufen dem Gespann nach. Je nach Bewuchs stellen wir etwa alle vier Pflanzen einen der schwarzen Eimer ab. Spazieren gehen für 18,50 Dollar nach Steuern – das ist in Ordnung. Vor einer Viertelstunde hat das noch etwas anders ausgesehen. Ein voller Eimer nach dem Anderen musste angehoben, bei der Fahrt in den großen, 600kg Trauben fassenden Bottich geleert und anschließend vorne auf dem Anhänger gestapelt werden. Als der hintere Bottich voll war bin ich auf den Anhänger gestiegen und habe die Eimer von David über die Metallrutsche auf dem Radkasten gereicht bekommen. So hatten wir in wenigen Minuten 1200kg Trauben verladen und die viel zu hohen Eimerstapel schwankten im Wind. 
So sieht die Arbeit aus
Wie Schafe auf dem Anhänger
Nick, Ich, Conan David
„I love this Job“ sagt David, der eigentlich Conan heißt. Sein richtiger Name interessiert hier allerdings Niemanden, da er eins zu eins aussieht wie David Guetta. „I'm glad we can do the buckets.“ Ich stimme ihm zu. Trauben ernten war zwar ein entspannter Job, aber auf Dauer recht eintönig. In Teams zu zweit werden die Trauben von beiden Seiten der Rebreihe gleichzeitig mit einer scharfen Schere abgeschnitten. Dabei muss man ein wenig aufpassen, Johannes und Luisa hatten sich an ihrem ersten Arbeitstag ordentlich geschnitten. Erreicht man einen Holzpfahl ist die Sektion abgeerntet und man trottet zur nächsten Freien. So bewegen sich die etwa 25 Erntehelfer, von denen bis auf ein paar alte Damen alles Backpacker sind sich meist an zwei Roads gleichzeitig den oft flachen Hügel hinauf oder hinab. Manchmal müssen die vollen Eimer noch auf die andere Seite gestellt werden, damit die Bucketboys die Ernte von bis zu vier Roads mit einer Fahrt aufsammeln können. Ihr habt richtig gehört, ich bin jetzt nicht nur Bachelor sondern auch Bucketboy. Langsam aber sicher wird mein Lebenslauf unwiderstehlich. Etwa die Hälfte der Zeit helfen wir bei der Ernte, die andere Hälfte sind wir mit Nick und dem Traktor unterwegs. Dabei machen David und ich zu zweit die Arbeit, die zuvor von vier anderen Backpackern erledigt wurde. Was für Tüten! Klar ist die Arbeit abschnittsweise anstrengend, aber das empfinden wir als sehr angenehm. Es kann ja schließlich auch nicht sein, dass mir Freunde aus Deutschland erzählen ich würde immer magerer aussehen! Komm rüber Nico, hier wird man fürs Trainieren bezahlt! 

Ein Fläschchen kostet mindestens 70 Dollar
Wir setzen die letzten Eimer ab und springen wieder auf den Anhänger. Normalerweise müsste Nick uns jetzt wieder bei den Erntehelfern absetzen, doch wir können sie nirgends finden. Er nimmt uns mit zur Farm, von wo aus wir schließlich die Gruppe am anderen Ende des Grundstücks am Hang sitzen sehen. Sie wurden offensichtlich mit dem großen, roten Viehanhänger zu den nächsten Reben gebracht und haben nun dort erst einmal Mittagspause. Gestern war an dem Anhänger noch fast ein Rad abgefallen, während wir damit transportiert wurden – Der Reifen war platt und die Radmuttern hatten sich gelöst. Die Mittagspause wird natürlich nicht bezahlt, jedoch gibt es morgens in der bezahlten Arbeitszeit immer eine Pause mit Kaffee und Brot australischem Gebäck. Dabei suchen wir uns stets ein Plätzchen im Schatten, um nach Feierabend nicht wieder mit einem Sonnenstich zum Unterstand fahren zu müssen. Zufuss bräuchten wir mindestens 20 Minuten zu den Anderen und die Mittagspause würde für uns ausfallen. Nick spricht kurz mit dem Boss, der mir schließlich den Schlüssel für den „Gator“ in die Hand drückt, eine Art Quad mit sechs Rädern. David wurde aufgrund mangelnder Fahrkünste zum Beifahrer verdammt. Er hat nun seit drei Wochen ein Auto und ist bereits vier mal irgendwo gegen gefahren. Dabei sieht er doch überhaupt nicht aus wie Linch. Bei den Übrigen angekommen wurden uns zunächst neidische Blicke zugeworfen. So fühlt es sich wohl an, wenn man mit dem Heli zur Party kommt. Dafür haben wir aber doch den anstrengenderen Job.

Mittagspause

Bei der Mittagspause hat man zum ersten Mal Zeit, sich die idyllische Umgebung genauer anzuschauen. Wie gemalt legen sich die Weinreben auf die Hänge im Yarra Valley, das im Morgengrauen stets ausgiebig für Heißluftballonflüge genutzt wird. Verschiedenste Grün- und Gelbtöne verschwimmen miteinander und bilden einen Kontrast zum Blau des Himmels. Die gewaltigen Schutzstoffe sehen aus wie überdimensionale Spinnennetze, und die unzähligen großen Heuballen im Hintergrund wirken irgendwie verloren. Mein Nutellabaguette neigt sich dem Ende. Gleich geht es wieder aufs Feld.


4. März 2013

Kommune Altona

Eigentlich wollte ich in diesem Eintrag von meinen Erfahrungen als Vertreter berichten, doch mal wieder kam alles anders. Alles kam anders – so könnte der Titel von fast jedem Eintrag hier lauten. Als Backpacker in Australien kann man wirklich gar nichts planen. Sollte man aber auch nicht, so erlebt man doch schließlich am meisten.

v.l.n.r: Tommy, Daniel, Kalle (Auto)
Noch während ich meinen letzten Blogeintrag hochgeladen hatte, schrieb ich über Facebook mit Daniel – einem ehemaligen Nachbar, der auch mit mir zusammen studiert hat. Wie der Zufall es so wollte war er zusammen mit einem Freund auch gerade in Australien unterwegs. Daniel und Tom haben auch das gleiche Auto wie ich, was in Australien nicht sehr häufig ist. Na gut, es ist natürlich nicht so wunderschön wie Meines. Und vielleicht ein wenig schneller. Da die Beiden gerade in Melbourne waren besuchten sie mich natürlich sofort in Altona, und sind geblieben. Seitdem besteht meine ehemalige Ein-Mann-Kolonie also aus drei Autos und fünf Personen. Mindestens ;-) 

Panorama von unerem Stellplatz am See. Rechts im Bild Jeffrey, das Raumschiffklo


Am Abend vor meinem ersten Arbeitstag als Vertreter habe ich online noch ein wenig Recherche betrieben und herausgefunden, dass die Mutterfirma meines Arbeitgebers nicht wirklich seriös ist. Zwar ist alles legal und die vermittelten Verträge sind durchaus fair, jedoch ist der Stromanbieter so scheiße dreist, dass fast alle Kunden einen Wechsel dorthin bereuten. Zu hohe Rechnungen, nicht erreichbar und so weiter. Da ich mein Geld auf ehrliche Weise verdienen möchte ging ich also nicht hin und tat zusammen mit meiner Kommune dass, was ich am besten konnte: Am Strand entspannen, Grillen, versuchen kein Geld auszugeben, im Meer schwimmen, Frisbee spielen, Geld ausgeben, romantisch im Subway dinieren, online nach Jobs schauen oder das Geräuschkonzert meines Autos analysieren bestaunen.

Nachts am Yarra River

Die 3 von der Tankstelle
Johannes und Luisa bekamen einen Job auf einer Weinfarm, die etwa zwei Stunden östlich von Melbourne gelegen ist. Die Gelegenheit nutzten Daniel, Tom und Ich um unsere Autos wieder flott zu kriegen. Ölwechsel und Ölfilterwechsel standen auf dem Programm und spezielle Mittel für Ölschmierung und Kühlkreislauf wurden angewendet. Als armer, aber dafür ahnungsloser Backpacker kann man jedoch schlecht in eine Werkstatt fahren und dort alles machen lassen. Zu teuer! Also haben wir meinen Patenonkel ausgefragt, ein Youtube-tutorial angeschaut und benötigte Teile im Baumarkt und Kfz-Store besorgt. Leider mussten wir zwei mal fahren, da unser umfassendes Werkzeugset nicht den Schraubschlüssel in der passenden Größe hatte. In Australien sind sowohl Millimeter- als auch Zollangaben gängig, weshalb es so ziemlich alle Schraubwerkzeuge in beiden Ausführungen zu kaufen gibt. Unser billiger Plastikeimer war leider zu hoch, weshalb wir mein Auto zunächst auf großen Steinen „aufgebockt“ haben, die zuvor fachmännisch aus einem nahegelegenen Blumenbeet entfernt worden sind. Gut, dass das keiner gesehen hat! Nach einem schier endlosen Kampf mit Kalles Ölfilter und einer Nacht ohne Öl im Motor (Wer sein Auto liebt, der schiebt...) war es aber schließlich vollendet. Das Klackergeräusch meiner Stößel war zunächst verschwunden, Burgundis Motor lief aber nach wie vor deutlich unruhiger als der von Kalle. Wir kochten uns übertrieben scharfe Kartoffelpampe unter dem Vordach der Raumschifftoilette, als Johannes und Luisa wieder am See ankamen. Der Job war spontan für den nächsten Tag gecancelled worden.


Am Abend vor meinem Geburtstag wollten wir mal wieder gemeinsam Kochen und uns den eher mittelprächtig schmackhaften Goon schmackhaft trinken. Aus dem Reinfeiern wurde aber nichts, da sich um neun Uhr Abends plötzlich die Gelegenheit auftat, Johannes und Luisa nach Lilydale zum Weinernten zu begleiten. Also packten wir nach dem Essen alles zusammen und machten uns in einer Kolonne auf den Weg, um uns durch Melbournes Stadtverkehr zu quälen. Der Weg führte mal wieder über die gewaltige Westgate Bridge, die bei Nacht einen herrlichen Ausblick auf die Stadt bietet. Aus dem T3 vor mir kam beim Beschleunigen schwarzer Qualm, da die Beiden das Problem ihres Motors nach wie vor nicht in den Griff bekommen haben. An einer Ampel trat Johannes aus Spaß voll auf aufs Gas und ließ mich in einer tiefschwarzen Wolke versinken. Gut, dass ich stets mein Fenster ganz offen habe. Dann schmeckt man schließlich auch was. Wir standen lange im Stau und plötzlich ging mein Motor aus – dachte ich zumindest. Seitdem läuft mein Wagen jedenfalls wesentlich ruhiger. Kurz vor Lilydale hielten die Anderen plötlich an, stiegen aus und schüttelten mein Auto durch – ich war ganz nebenbei 25 Jahre alt geworden. In einem gigantischen Konstrukt aus Pappkartons, den die vier mir schenkten, fand ich schließlich einen luxeriösen Campingstuhl. Endlich muss ich nicht mehr auf der Kühlbox sitzen! Aus den Kartons baute ich mir eine Fächerbox für den Beifahrersitz, um ein Minimum an Ordnung in meinen fahrenden Kramladen zu bekommen. Am nächsten Morgen ging es früh los in Richtung Weinernte, worüber ich im nächsten Eintrag gesondert berichten möchte. 
Flughundaugen
Ikea, tzz...










Ein Teil vom Geld habe ich direkt in eine neue Matratze investiert. Daniel und Tom waren ihre Luftmatratzen auch satt, also haben wir Maß genommen und ein je 130 Dollar teures Stück Schaumstoff zurecht geschnippelt. Seitdem pieksen mir auch keine Metallfedern mehr in den schiefen Rücken und ich kann meine Heckklappe benutzen. Vor Allem zu zweit ist es jetzt deutlich bequemer. Ob Löffelchen mit dem Radkasten oder Andreaskreuz im Vollrausch, man fühlt sich fast wie in einem richtigen Bett.


Erwähnenswert ist noch das „Adventure Golf“ in Lilydale, welches wir an einem freien Nachmittag besuchten. Für 16 Dollar kann man dort 36 Bahnen (je 18 indoor und outdoor) Minigolf spielen, und wir hatten Spaß ohne Ende. Jede Bahn war mit Liebe zum Detail gebaut worden. Oft über mehrere Etagen verteilt wurde der Ball mit Druckluft weitergeleitet, verschwand in Rohren im Boden oder musste über einen bewegbaren Holzbalken gesteuert werden. Es gab teilweise versteckte Wege und man musste einige Bahnen vorher genau anschauen, um nicht von Ihnen verarscht zu werden. Abends hatten wir Bauchschmerzen vor lachen. Wer hätte gedacht, dass Minigolf so viel Spaß machen kann. Die Anlage ist auf jeden Fall einen Besuch wert.



Der nächste Beitrag zur Weinernte sollte (diesmal) nicht lange auf sich warten lassen.
Bis dann,

Florian


Verrückte Kakadus
Daniel und Ich im T3
Unser Stellplatz in Lilydale