Dieser Eintrag ist anders. Das liegt
nicht daran, dass ich wieder im weichen Licht meiner geliebten
Stehlampe sitze und Hifi-Sound mein Hinterteil in den Bürostuhl
drückt, der den Schöpfer seiner Sitzmulde seit über 550 Tagen
nicht mehr zu Gesicht bekommen hat. Nein, das ist es nicht. Auch die
Tatsache, dass die Reise vorerst ein Ende gefunden hat ist nicht
entscheidend. Es liegt wohl an dieser merkwürdigen Mischung aus
Melancholie und Resignation. Warum? Ich stehe vor der unlösbaren
Aufgabe, 18 Monate pures Leben auf ein wenig Text zu reduzieren. Wie
jeder Andere in meiner Situation werde ich dabei kläglich scheitern
und versuche es dennoch.
Ich bin mit Haien geschwommen. Ich bin
barfuß durch den laotischen Dschungel gewandert. Ich habe gelernt,
wie man die Kohlestifte im Inneren eines Anlassers wechselt und auf
welcher Seite vom Teller die Gabel liegen sollte. Ich bin in der
australischen Wüstensonne verbrannt, im Monsunregen Südostasiens
ertrunken und in den Alpen Neuseelands erfroren. Ich habe unartige
Wörter in mindestens 10 Sprachen erlernt, bin mit betrunkenen Bauern
durch nächtliche Bananenplantagen geheizt und habe Stundenlang die
Milchstraße angestarrt. Ich habe ein Jahr lang da gewohnt, wo ich
geparkt habe. Ich musste Kühe häuten, Dingospuren folgen und
kreischen wie ein kleines Mädchen, wenn mal wieder eine riesige
Spinne auf dem Kopfkissen gesessen hat. Ich erlebte feiernde Menschenmassen
und totale Isolation. Ich bin illegal quer durch Australien gefahren,
habe auf einem Boot gewohnt und Vulkane erklommen. Ich habe wilde
Rinder mit dem Motorrad durch die Wüste gejagt, Zäune gebaut und
Windräder repariert. Ich wurde von einer Lebensmittelvergiftung
umgehauen und habe im Dreck gelegen. Ich habe viele Freunde gefunden
und einige Andere verloren. Ich musste lernen zu Schießen und bei
Höllenlärm in den Schlaf zu sinken. Ich habe Zwiebeln chauffiert,
sortiert, verflucht und gegessen. Ich bin per Anhalter durch die
Lande gezogen und mit einem Seil an den Füßen 134 Meter in die
Tiefe gesprungen. Ich habe mich Wochenlang nur auf Englisch
verständigt und in einem Jahr mehr Nudeln gegessen als in meiner
gesamten Studienzeit. Ich habe gegen australische Behörden gekämpft,
meinen Van auf Geländepisten festgefahren und mich am Sternbild
orientiert. Ich war auf einem Rave mitten im Wald, an einsamen
Traumstränden und an Orten, die nur für mich etwas Magisches haben.
Ich habe mich in der größten Tempelanlage der Welt verlaufen, habe
am Strand gewohnt und etwas in einen Baum geschnitzt. Ich habe Ängste
überwunden.
Ich habe, ich bin, ich war. Ich könnte
ewig so weiter machen und hätte doch irgendwie nur einen winzigen
Teil erzählt – ein paar Highlights und Kuriositäten eben, die man
sich gerne in Erinnerung ruft. Zu Beginn dieses Eintrags habe ich
eigentlich die beste Beschreibung meiner Reise gegeben: Pures Leben.
Was sich zunächst hochgestochen und irgendwie kitschig anhört
trifft es genau auf den Punkt.
Reisen in der Form, wie ich es erleben
durfte, ist keine Aktivität die man ausführt. Es ist keine Sache,
die man gerade macht. Nein, das ganze Leben ändert sich.
Die eigene Welt stellt sich sprichwörtlich und auch buchstäblich
auf den Kopf und du bist mittendrin. Es gibt keine Kompromisse
zwischen Aufgeben und Weitermachen und es ist dein Alltag, dass du
keinen Alltag hast.
Dabei gibt es genau so viele spannende wie
langweilige Momente. Es ist nicht immer Alles spektakulär und
außergewöhnlich, und das muss es auch gar nicht sein. Aber die
Intensität, Häufigkeit und Variabilität, in der den Reisenden die
unterschiedlichsten Gefühle und Gemütslagen aufsuchen steht in
keinem Verhältnis zu dem, was man Zuhause empfindet. In den 18
Monaten auf Reisen habe ich mehr gelacht, geweint, gelernt und
gedacht als in den 5 Jahren davor. Das liegt nicht nur an den
geänderten Umständen, sondern auch der schieren Masse von
Indikatoren: Man trifft mehr Leute, hört mehr Geschichten, wird vor
mehr Probleme gestellt und fällt mehr Entscheidungen. Das
allerwichtigste jedoch: Man ist frei. Nur wer komplett alleine im
rollenden Zuhause durch die Landschaft fährt, keine Zukunftspläne
und unzählige Möglichkeiten vor sich hat und die Gedanken treiben
lässt – nur der weiß, wie sich unbedingte Freiheit in ihrer
reinsten Form anfühlt.
Nach 67 Einträgen hat mein Reiseblog
nun ein vorläufiges Ende gefunden. Vorläufig? Jetzt hat der schon
wieder dieses Wort benutzt, vorläufig. Schuld daran ist der
Travelbug: Wohl das einzige Tier, welches weltweit verbreitet ist und
wirklich überall überlebt. Ok, da gibt es noch die Kakerlaken, aber
die beißen nicht. Wer vom Travelbug gebissen wird ist infiziert und
eine Heilung ist weder möglich, noch erwünscht. Denn wer gebissen
wird weiß, dass er die Reise goldrichtig angegangen ist. Reisen
macht süchtig. Woran das liegt habe ich wahrscheinlich ausgiebig
genug erläutert. Wenn ich heute meine Blogeinträge von vor über
einem Jahr lese, bekomme ich Gänsehaut - so viele Erinnerungen an
dieses wahnsinnige Abenteuer!
Und so träumte ich schon während den
letzten Wochen der Reise von wilden Bären in Kanada und den eisigen
Schneemassen Alaskas. Bedingt durch Visum und Finanzen wäre das ab
Anfang 2015 denkbar. Aber vorerst bleibe ich Zuhause und verbringe
ein wenig Zeit mit meiner Familie und Freunden. Zuhause, wo man
in Ignoranz erstarrt, wenn sich Jemand im Bus neben einen setzt und
wo man angeschaut wird wie ein Auto, wenn man fremde Menschen
begrüßt. Die Umstellung ist groß, denn obwohl ich im Inneren noch
der gleiche coole, gutaussehende, weise Mensch bin, so habe ich doch
Eigenarten von anderen Kulturen adaptiert.
In den nächsten Tagen werde ich diesen
Blog in Buchform bringen – mit Karten, Statistiken, mehr Bildern
und anderen Erinnerungen. Ich mache das für mich selbst und hatte
das immer so geplant, aber wer mag kann sich den Schinken dann gerne
mal ein paar Tage ausleihen.
Was mir nun noch bleibt ist DANKE zu
sagen. Danke an alle, die mich unterstützt haben und an mich
geglaubt haben. Danke an die vielen tollen Menschen, die ich
unterwegs kennenlernen durfte. Danke an meine Eltern, Brüder und
Freunde, die mir schon nach wenigen Minuten das Gefühl gegeben haben
als wäre ich nie weg gewesen. Danke.
Euer Flo.